Genève-Servette – Der logische Leader

Der Genève-Servette HC ist nach 25 Runden unbestrittener Tabellenführer mit 9 Punkten Vorsprung vor Biel und bereits 10 Punkten auf die drittplatzierten ZSC Lions. Das ergibt eindrucksvolle 2.24 Punkte pro Spiel. Er weist auch schon eine beachtliche Tordifferenz von +38 auf. Zum Vergleich: Das zweitplatzierte Biel hat nur +20.

Der GSHC ist zurzeit das Mass aller Dinge in der National League, mit der stärksten Verteidigung und einer Offensivabteilung von Weltklasse, die zusammen in jedem Spiel den Unterschied ausmachen können. Unter den Top 10 der Powerplay-Scorer befinden sich nicht weniger als vier Genfer Spieler: Teemu Hartikainen (1.), Valtteri Filppula (3.), Linus Omark (4.) und Henrik Tömmernes (8.). In der Rangliste der besten +/- Bilanz sind auch vier Genfer unter den Top 6 (!). Daher ist es logisch, dass sie auch in folgenden Team-Kategorien die Rangliste anführen: Anzahl erzielte Tore (95), Schusseffizienz 12.72 und Tore in Überzahl (23, also praktisch eines pro Spiel, was einer Powerplay-Effizienz von 29,11 % entspricht!).

Das System

Es ist kein Zufall, dass Genève-Servette Leader ist. Ihre Auftritte sind dominant, die stärkste Verteidigung der Liga antizipiert die Angriffsauslösung der Gegner bereits in der offensiven Zone, um dann das Spiel in der neutralen Zone durch ein aggressives 1-2-2 Forechecking zu stören oder gar mittels 2-1-2 bereits in der offensiven Zone zu unterbinden. Das führt dazu, dass die Genfer im Schnitt wenig Zonenausgänge aus ihrer offensiven Zone zulassen (unter 45 %). So werden nicht nur die zu erwartenden Passwege abgeschnitten, sondern auch nur wenige, kontrollierte Entries in die eigene Zone zugelassen. Und das liegt an der Art und Weise, wie die Genfer das gegnerische Transitionspiel in der neutralen Zone bereits höchst effizient durchkreuzen, d.h. die Gegner haben gegen Genf eine tiefe Erfolgsquote bei ihren Zone Entries. In anderen Worten, das Eindringen in die eigene Verteidigungszone führt meistens zu weniger erfolgreichen und gefährlichen Abschlüssen als bei anderen Teams. Dieses System konnte vor allem mit Unterstützung und Erfahrung der starken Offensiv-Stars Omark, Hartikainen, Filppula und Winnik wirkungsvoll umgesetzt werden, aber auch die Schweizer Stürmer Tanner Richard, Noah Rod und Vincent Praplan bringen sich immer wieder effektvoll in dieses Schema ein.

Genève-Servette Topscorer Valtteri Filppula am Bully (JustPictures)

Die Ausländer

Nicht von ungefähr hatte Genf bereits im letzten Jahr eine der wertvollsten Importabteilungen in der National League mit Henrik Tömmernes, einem der besten Verteidiger Europas und Sami Vatanen, einem der offensiv kreativsten Abwehrspieler, der letzte Saison 39 Punkte aus 38 Spielen erzielte und davor in 8 Jahren über 470 NHL-Einsätze absolvierte. Leider verletzte sich der Finne Anfang November. Der kanadische Stürmer Daniel Winnik ist einer der zuverlässigsten Torproduzenten und Valteri Filppula der aktuelle Topscorer nach Punkten. Dieses bis anhin schon erfolgreiche Quartett wurde in diesem Jahr nochmals verstärkt mit Rückkehrer Linus Omark, einem der genialsten Offensivkräfte unserer Liga und dem kräftigen Stürmer Teemu Hartikainen, Teil von Finnlands Weltmeisterteam 2022 und aktueller Torschützenkönig der National League.

Fazit: Servettes ausgezeichnete Ausländer-Fraktion wurde auf diese Saison hin wahrhaft meisterlich verstärkt.

Schweizer Schlüsselspieler

Vincent Praplan findet nach zwei mittelmässigen Saisons in Bern in der nominell dritten Linie neben Linus Omark und Marc-Antoine Pouliot wieder zu seinen erfolgreichen Scorerqualitäten zurück. Noah Rod spielt schon seine zehnte Saison bei Genf und eine wichtige Rolle in der zweiten Linie, mit Teemu Hartikainen und Tanner Richard, ein Sturmtrio, das vor allem im offensiven Slot den gegnerischen Verteidigern und Goalies das Leben schwer macht. Tanner Richard zeigt nach seiner langwierigen Verletzung im letzten Jahr schon wieder eine ganz starke Saison mit 19 Scorerpunkten und ist einer der wertvollsten Assistgeber mit einer hervorragenden Spielübersicht. Der Zweiweg-Nationalverteidiger Roger Karrer, der ausgezeichnete skating skills und einen harten Schuss besitzt, entwickelte sich zu einer wertvollen Unterstützung für die gefährlichen Rushes der Genfer. Daneben sorgt der erfahrene Marco Maurer mit seinen robusten Körpermassen für die nötige Stabilität in der Defensive. Zu einem wichtigen Element in der Verteidigung wurde der junge, talentierte Simon Le Coultre, der 2018 Halbfinalist mit der U20-Nati war und vor seinem Engagement bei Genf drei Saisons in der kanadischen QMJHL spielte.

Trainer

«Mein ultimatives Ziel ist es, mit Genève-Servette den Titel zu gewinnen» erklärte Jan Cadieux (42) in einem Interview mit RTS Sport im September dieses Jahres. Trotz der Übernahme des Cheftrainer-Postens von Patrick Emond im Herbst 2021 konnte letzte Saison das frühe Ausscheiden in den Pre-Playoffs gegen Lugano nicht vermieden werden. Cadieux konnte allerdings die Mannschaft etwas stabilisieren und ihr mehr Intensität beim Umschaltspiel und Forechecking einverleiben. In der Zwischenzeit hat er auch einen effektiven Weg gefunden, die Weltklassespieler erfolgreich in seinen Spielplan zu integrieren und vor allem auch die anfangs Saison noch enttäuschende Offensivabteilung zu einer wirkungsvollen Tormaschine zu formen.

Was spricht gegen einen Qualifikationssieg?

Lass uns bei all den positiven sportlichen Aussichten trotzdem noch auf eventuelle Herausforderungen schauen, die sich negativ auf den Club auswirken könnten. 

1. Aussersportliches Umfeld

Da ist zum einen noch der hängige Gerichtsfall um die Abfindung des 2020 entlassenen Chris McSorley in der Höhe von 7.6 Mio. Franken, es steht für den Verein bei diesem Prozess finanziell viel auf dem Spiel und es wird wohl noch dauern bis man die Ära McSorley endgültig hinter sich lassen kann.

Zum anderen verzögert die teilweise komplexe Stadtpolitik Genfs die längst fällige Renovation oder den Neubau der Heimstätte der Adler stetig. Währenddem fast alle National League Clubs in der Zwischenzeit eine neue oder zumindest renovierte Arena haben, leiden die Genfer nach wie vor an der mangelhaften Infrastruktur ihres Stadions, das nur durch eine temporäre Sondergenehmigung des SIHF von Jahr zu Jahr überhaupt betrieben werden kann. Die 1958 erbaute Spielstätte „Les Vernets“ gehört der Stadt Genf und allfällige Änderungen oder gar Neubauten müssen das parlamentarische Prozedere durchlaufen. Kaum erstaunlich, dass seit bald 20 Jahren über ein neues Stadion diskutiert wird, ohne dass etwas passiert ist. Ob und wie lange die SIHF weiterhin ihren Goodwill betreffend Spielgenehmigung im Les Vernets zeigt, ist fraglich. Gemäss Tribune de Genève steht momentan das Jahr 2028 als mögliches Datum für eine allfällige Stadioneröffnung im Raum.

2. Altersschnitt der Mannschaft

Einige wichtige Protagonisten wie die erwähnten Filppula, Winnik und Omark,- sie sind alle zwischen 35 und 38 Jahre alt-, sowie der eh schon verletzungsanfällige Marc-Antoine Pouliot (37) und Marco Maurer (34) befinden sich im Spätherbst ihrer Karriere und es ist fraglich, wie lange sie auf diesem Niveau und in diesem intensiven Spielsystem noch aktiv sein können. Einige von ihnen haben Verträge bis 2023, andere bis 2024. Es stehen in diesem Jahr, spätestens im nächsten Frühjahr, einige folgenschwere Entscheidungen für Sportchef Marc Gautschi an.

3. Abgänge

Die Abgänge von Joel Vermin und vor allem Tyler Moy scheinen zumindest auf dem Papier schwer zu lasten. An ihrer Stelle sollen die Neuzugänge Vincent Praplan und Alessio Bertaggia die Scheibe ins Tor bringen, was bis jetzt nur Ersterem gelang, derweil Bertaggia meistens im vierten Sturm oder sogar nur als 13. Stürmer zum Einsatz kam. In der Zwischenzeit ist Moy bei Rappi aufgeblüht und führt die Topscorer-Liste zusammen mit Hartikainen und Saarela an.

4. Torhüter

Robert Mayer wurde als Backup für Gauthier Descloux von Davos geholt, er wurde allerdings während der letzten Saison an Langnau ausgeliehen. Er gilt nach wie vor als unbeständiger Goalie mit Tendenz zu risikoreichen Torausflügen, die sich allerdings auch immer wieder mit Weltklasseparaden abwechseln. Die Nummer 1, Gauthier Descloux, konnte die Erwartungen wegen Verletzungen in Genf noch nicht erfüllen. Erstaunlicherweise haben beide zurzeit eine Topplatzierung mit tiefer Quote an Gegentoren pro Spiel und eine Abwehrquote von 92.06 (Descloux) und 91.85 (Mayer). Diese guten Werte sind aber auch der hohen Stabilität und Effizienz der oben erwähnten defensiven Qualität zu verdanken.

Trotz dieser Herausforderungen rechnen wir nach den bisher gezeigten Leistungen damit, dass Genève-Servette nicht nur seinen direkten Playoff-Platz in der oberen Hälfte bis zum Ende der Qualifikationsrunde verteidigt, sondern auch in der Entscheidungsphase die üblichen Favoritenteams fordern wird. Und schliesslich wird es höchste Zeit, dass nach 50 Jahren wieder einmal ein Team aus dem Welschland Schweizer Meister im Eishockey wird, was zuletzt dem HC La Chaux-de-Fonds 1973 gelang.